Aguma, Harburg und die Sojabohne

"Lebensmittel" aus Harburg

Text und Infografiken:
Angela Jansen

(1) Erntekalender verschiedener Ölfrüchte, Thörl, 1958

Bei der Recherche zu den Harburger Firmenlogos stieß ich auf den Markennamen Aguma. So nannte sich ein Sojamehl aus dem Hause Thörl, 1913 auf den Markt gebracht. War die Harburger Ölindustrie ein Vorreiter in der Entwicklung veganer Ernährung? Wie passt das zusammen mit der industriell auf Rendite ausgerichteten Herangehensweise? Das Harburger Beispiel zeigt, dass die Großindustrie schon immer aufmerksam Ernährungstrends und Versorgungsengpässe beobachtete, um daraus Nutzen zu ziehen.

Der Einzelne mag sich aus ethischen oder gesundheitlichen Gründen für vegane Ernährung entscheiden. Zugleich passt dieser Trend aber auch hervorragend in das Kalkül weltweit agierender Lebensmittelkonzerne. Denn vegane Nahrungsmittel, z.B. Würstchenersatz auf Sojabasis, lassen sich gut industriell und damit kostengünstig herstellen und vermarkten – im Gegensatz zu frischen, oft lokal gehandelten Produkten wie Milch, Käse und auch Fleisch.

So kam die Sojabohne nach Deutschland

Nach Deutschland gelangte die Kenntnis von Soja, das in Japan traditionell als Viehfutter und Nahrungsmittel eingesetzt wurde, im frühen 18. Jahrhundert. Der Botanische Garten in Marburg begann 1794, Soja anzupflanzen. Erst 80 Jahre später (1879) baute man in Süddeutschland das erste Soja auf dem Feld an.1

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielte die Verarbeitung von Soja in Deutschland nur eine Nebenrolle. 1908 gingen von den insgesamt über 200.000 Tonnen, die die Mandschurei nach Europa exportierte, nur 670 Tonnen nach Deutschland. Über 100.000 Tonnen importierte Großbritannien, weil dort die industrielle Viehproduktion bereits viel weiter fortgeschritten war.2 In Harburg stiegen Thörl‘s vereinigte Ölfabriken um das Jahr 1910 in die Sojaverarbeitung ein.3

Für die kommerzielle Nutzung in den Ölmühlen importierte man den Rohstoff, zunächst vor allem als Presskuchen, da der Import der Bohnen mit Zöllen belegt war. Nachdem 1910 die Einfuhrzölle für Sojabohnen entfielen, stiegt der Import rasant an: In den ersten zehn Monaten des Jahres 1910 waren es bereits rd. 28.000 Tonnen, von denen ein wesentlicher Teil in Harburg durch Thörls Vereinigte Ölfabriken zu Pflanzenöl und proteinreichem Mehl verarbeitet wurde.4 Auch das Harburger Unternehmen Brinkman & Mergell verarbeitete seit 1910 Soja 5, Noblée & Thörl seit 1912 6.

Aguma-Mehl

(2) 1926: Wohlwollende Erwähnung von Aguma

1913 brachte Thörl mehrere für die menschliche Ernährung gedachte Sojamehle (Aguma, Aguman und Vaterland) und Sojawürze, einen Suppenwürfel aus Sojaextrakt auf den Markt. Welche Bedeutung man dieser Produktsparte zumaß, lässt sich daran erkennen, dass Thörl dafür eine eigene Firma, die Agumawerke F. Thoerl & Co., gründete. Thörl war damit der erste deutsche Hersteller, der auf Soja für die menschliche Ernährung setzte. Mit dem Produktnamen "Vaterland" zielte Thörl auf den Patriotismus der damaligen Konsumenten.

Agumawerk Harburg 1925

(3) Die Agumawerke in Harburg 1925 am Lauenbrucher Deich 14

Die Sojaverarbeitung war in Deutschland von Anfang an industriell geprägt. Als Thörl 1913 seine Sojaprodukte für die menschliche Ernährung auf den Markt brachte, lagen viele Versuchsjahre hinter dem Unternehmen, in denen eigene Verfahren entwickelt wurden. Man extrahierte z.B. die Bitterstoffe mit Benzin als Lösungsmittel. Thörl konnte so ein „gut schmeckendes und billiges“ Sojamehl herstellen.7

Die Sojawürze produzierte man in einem Hydrolyse-Prozess mithilfe von Salzsäure. Der Prozess dauerte nur 10 Stunden und war sehr ergiebig: Aus 100 Kilo Mehl entstanden 200 kg der Superwürze!8. Auch finanziell lohnte sich das Geschäft – dem niedrigen Erzeugungspreis standen hohe Erlöse gegenüber. Die nahmen noch zu, als im Ersten Weltkrieg die deutschen Angriffstruppen in ganz Europa ernährt werden mussten.

Produktionssteigerungen durch zwei Weltkriege

1914 startete das Agumawerk die Massenproduktion von Sojamehl. Die drei Mehlsorten Aguma, Aguman und Vaterland unterschieden sich durch ihren Herstellungsprozess (Flüssigextraktion bzw. Pressung). Thörl profitierte vom Weltkrieg und seiner monopolistischen Geschäftsbeziehung zum kaiserlichen Heer und zur Reichsmarine – allerdings nur so lange, bis die Entente den Rohstoffhahn zudrehte.

Der zweite große Sojaproduzent in Deutschland, die Soyamawerke in Frankfurt, produzierte neben Mehl auch einen Fleischersatz und Frisch- und Trockenmilch.9 Damit auch die Hausfrau das Superprodukt in den Kriegsjahren einzusetzen wusste, erschien im Volksvereins-Verlag 1915 der praktische Ratgeber „Das Aguma(Sojabohnen)-Mehl in der Küche“.10

Nach dem 1. Weltkrieg konnte die deutsche Industrie wieder an die Rohstoffe gelangen. Sojamehl wurde als Ersatzstoff zur „Brotstreckung“ in Anteilen von bis zu 3 Prozent dem Backmehl zugesetzt. Die Sojaimporte stiegen bis 1928 auf 850.000 Tonnen im Jahr.11

Sojaverarbeitung in Deutschland 1931

(4) 1931 hatten drei der fünf größten deutschen Sojaverarbeiter ihren Standort in Harburg (Thörl, Noblée & Thörl, Brinkman & Mergell).

Die Harburger Ölmühlen experimentierten weiterhin, um die Sojaprodukte und ihre Einsatzmöglichkeiten zu verbessern. Der Durchsatz stieg erheblich an: 1939 verarbeiteten die Harburger Ölmühlen 1200 Tonnen Soja am Tag. Aber auch im 2. Weltkrieg hatten die Ölmühlen Rohstoffprobleme, ab 1941 war kein Sojaimport mehr möglich. Große Unternehmen, wie die IG Farben, versuchten, in den besetzten Ländern wie Rumänien Soja anzubauen, man erzielte aber nur Mengen von 60.000 t/Jahr.12

Auch im zweiten Weltkrieg wurde Soja als billiger Eiweißlieferant genutzt. Die deutschen Soldaten wurden mit sogenannten "Pemmikan-Landjägern" versorgt, die reichlich Sojamehl enthielten. So kam Soja zu dem hübschen Spitznamen "Nazi-Bohne".13

Sojaimporte nach Deutschland seit 1908

(5) Soja-Importe nach Deutschland seit 1908

Die neuere Entwicklung: Designte Lebensmittel boomen

Seit damals ist weltweit die industrielle Viehproduktion rasant gewachsen und damit auch der Sojaanbau auf der Erde. Urwälder werden für Soja gerodet, um anschließend Hühner und Schweine mit Soja-Futtermischungen auf „Hochleistung“ zu trimmen. Für die menschliche Ernährung werden nur drei Prozent des weltweiten Sojaanbaus verwendet. Dieses Soja kommt weitgehend aus biologischem Anbau. Insofern bleibt der vegane Sojaesser unschuldig am Sterben des Regenwaldes.

 

Sojaproduktion weltweit    

(6) Sojaproduktion weltweit

 

Sojanutzung

(7) Sojanutzung

Auffällig ist aber, dass viele vegane Lebensmittel Fertigprodukte bzw. industriell designt sind. Und die werden überwiegend (groß-)industriell hergestellt. Fleischersatz mit Proteinen und Lecithin, glutenfreie Kekse oder vitaminangereicherte Produkte – all diese Lebensmittel entstehen mehr im Chemielabor als in der Küche.

Und die Harburger Ölindustrie ist immer noch mitten im Geschäft. ADM betreibt heute Hobum. Das US-Unternehmen ist weltweit einer der größten Sojaverarbeiter. Cargill, der heutige Inhaber von Hobum, stellt 300 verschiedene Fettmischungen her. Die Firma wirbt wie damals mit Geschmack und Preis und setzt noch das Gesundheitsargument oben drauf: „Die Verbraucher möchten bei ihrer Suche nach gesünderen Produkten nicht auf Geschmack und Textur verzichten. (…) Unser vielfältiges Angebot aus Grund- und Spezialzutaten und Systemen für Zutaten und Fertigprodukte verhilft Ihnen zum Erfolg in Sachen Lebensmittel und Getränke.“14 Und: „Unsere Pflanzenproteine helfen unseren Kunden, die Produktanforderungen ihrer Kunden mit zusätzlichen gesundheitlichen Vorteilen zu erfüllen und gleichzeitig ihre Prozesse kostenwirksam zu optimieren.“15

Die jahrhundertelangen Erfahrungen der Harburger Ölindustrie und das Experimentieren mit neuen Produkten – wie z.B. Thörl 1913 mit seinem Sojamehl „Vaterland“ – zahlen sich also aus.

Thörl-Öl-Werbung 1933

(8) Schon 1933 mit Spezialölen im Geschäft: Thörl


Bildnachweis:

(1) 75 Jahre Thörl, Hamburg 1958

(2) G. Arens, Neue Arzneimittel und Pharmazeutische Spezialitäten, Heidelberg 1926, S.16

(3) Rundschau. Beilage zum Harburger Volksblatt Nr. 6, 1925, nach: Jürgen Ellermeyer, Klaus Richter, Dirk Stegmann: Harburg. Von der Burg zur Industriestadt, Hamburg [1988], S.348

(4-7) Angela Jansen

(8) 50 Jahre Thörl, Harburg 1933

 

Quellen:

1 William Shurtleff und Akiko Aoyagi, History of Soy Beans and Soyfoods in Germany (1712-2016), 2nd ed.: Extensively annotated Bibliography and Sourcebook, Lafayette (USA), 2016, S. 6. Die im Folgenden zitierten Quellen sind weitgehend dieser ausführlichen Bibliographie entnommen, die als PDF verfügbar ist: http://www.soyinfocenter.com/books/194 (abgerufen Januar 2018).a.a.O., S. 6.

2 a.a.O. S. 7.

3 Chemische Industrie {Berlin}. 1910, Dez. 15. S. 792, zit. n. a.a.O., S.7

4 a.a.O. S. 7.

5 Harburger Oelwerke Brinkmann & Mergell In: Vol. 15. Veröffentlichungen der wirtschaftsgeschichtlichen Forschungsgesellschaft e.V., Hamburg 1956, zit. n. a.a.O. S. 257.

6 Wendel, Armin. 1999. Die Sojabohne: von der Sojabohne zum Sojalecithin, Hamburg, 15 S., unveröffentlichtes Manuskript, zit. n. a.a.O. S.1518.

7 Allgemeine Medizinische Central-Zeitung. 1913. Okt. 11, S. 483-86, zit. n. a.a.O. S.7.

8 a.a.O. S. 306

9 a.a.O., S. 374, nach Maurice Fürstenberg, Die Soja: eine Kulturpflanze der Zukunft und ihre Verwertungsmöglichkeiten, Berlin 1917

10 a.A.O. S. 335

11 a.a.O., S. 515

12 Goss, W.H. 1946. German soybean industry. Soybean Digest. Sept. S. 24-26., zit. n. a.a.O. 785

13 https://www.bzfe.de/inhalt/besser-geht-s-nicht-6789.html abgerufen am 21.9.2018

14 https://www.cargill.de/de/lebensmittel-und-getränke, abgerufen am 19.9.2018

15 https://www.cargill.de/de/lebensmittel-und-getr%C3%A4nke, Stichwort Proteine, abgerufen am 19.9.2018

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